Ein wichtiges Kapitel der Ausstellung betrifft das Schicksal der Diffamierten.

Exilstation USA

Der größte Teil von ihnen emigrierte in alle Himmelsrichtungen, nach Australien ebenso wie nach Schanghai oder Südafrika. Kein Land nahm jedoch mehr Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland auf als die Vereinigten Staaten von Amerika. Es war deshalb eigentlich zu erwarten, daß die Ausstellung auch ihren Weg dorthin finden würde. Den Anstoß gab Ernest Fleischmann, der Intendant des Los Angeles Philharmonic Orchestra, der die Ausstellung bei den Berliner Festwochen 1988 kennengelernt hatte. Als mich das Getty Center for the History of Art and the Humanities für 1989/90 nach Kalifornien einlud, nutzte ich den neunmonatigen Studienaufenthalt für die Vorbereitung des Films wie der amerikanischen Ausstellungsversion. Trotz unerwarteter Finanzprobleme konnten diese im März 1991 unter dem Titel “Banned by the Nazis: ENTARTETE MUSIK” der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Schauplatz war das riesige Music Center Los Angeles, der Sitz des Los Angeles Philharmonic Orchestra.

Zu den Attraktionspunkten der Ausstellung hatte in Europa neben dem Katalog immer auch das Plakat gehört. Beides entfiel in Los Angeles – der Katalog reduzierte sich aus Kostengründen zu einer kleinen englischsprachigen Broschüre, während das Plakat kulturpolitischen Überlegungen zum Opfer fiel. Die Veranstalter meinten, es stelle angesichts der Rassenprobleme im heutigen Los Angeles ein zu großes Risiko dar. Man verzichtete auf das Plakat und dekorierte die Ausstellungsbroschüre statt dessen mit einem mächtigen Reichsadler. Während so die Werbung für die Musikausstellung weitgehend entfiel, strömte das Publikum in großen Scharen in die schon vorher eröffnete Ausstellung “Degenerate Art” des Los Angeles County Museum of Art. Sie fanden dort einen Raum über die Verfolgung der Musiker, der sich unverkennbar an die Düsseldorfer Rekonstruktion anlehnte. Erst im Berliner Alten Museum, wohin die „Degenerate Art“-Ausstellung im Frühjahr 1992 wanderte, nannte das kalifornische Museum wenigstens bei den Tondokumenten seine Quellen.

Wenn auch die kleinere Musikschau „Banned by the Nazis: Entartete Musik“ in Los Angeles keineswegs die Wirkung der großen Kunstausstellung erreichte, so hatten die begleitenden Konzerte und Vorträge doch eine dauerhafte Wirkung. Ernst Krenek, der seit Jahrzehnten bereits unweit von Los Angeles wenig beachtet in dem Wüstenort Palm Springs lebte, fand durch die Begleitkonzerte der Ausstellung zur späten Wiederentdeckung. Der einflußreiche Kritiker Martin Bernheimer nannte ihn nach dem ersten Konzert einen der vielseitigsten Komponisten dieses Jahrhunderts. Krenek, dessen 90. Geburtstag man in Los Angeles schnöde übergangen hatte, war gegenüber den Plänen, einige seiner Werke in Verbindung mit der Ausstellung “Entartete Musik” aufzuführen, zunächst skeptisch gewesen. Verständlicher Weise sah er sich selbst keineswegs als Galionsfigur der Entartung. Seine Skepsis verwandelte sich jedoch in Zustimmung, die er auch dadurch zum Ausdruck brachte, daß er sein Photo auf einer der Ausstellungstafeln eigenhändig signierte. Die Aufarbeitung der Diffamierung wurde für ihn so zur späten Wiedergutmachung.

Im Sommer 1992 reiste die Ausstellung an die amerikanische Ostküste, wo sie Bestandteil des Bard Music Festival war. Wegen des Besucherandrangs mußte sie um drei Wochen verlängert werden. Dennoch waren die Reaktionen insgesamt verhaltener als zuvor in Europa. Mehrere Versuche, die Tafeln etwa in New York City zu plazieren, scheiterten. An der Brandeis University Boston versuchten die Veranstalter, durch einen neuen Titel („Silenced Voices“) die europäische Herkunft zu verschleiern. Offenbar paßt es nicht in vorherrschende und durch die US-Medien noch verstärkte Denkschemata, wenn Deutsche die eigene Vergangenheit kritisch aufarbeiten. Lieber berichtet man über brennende Synagogen als über das Interesse einer neuen Generation von Deutschen an Gedenkstätten und NS-verfolgten Komponisten.